Warnfunktion der Medien: Identifizierende Berichterstattung über Vorwürfe gegen Zahnarzt
OLG Wien vom 8.2.2018, 18 Bs 320/17s
Unter den Überschriften „Horror-Zahnarzt: Auch Chirurg Opfer!“, „Horror-Zahnarzt arbeitete für Gericht“ sowie „Staatsanwaltschaft bohrt beim Horror-Zahnarzt nach“ wurde über ein gegen einen Zahnarzt und gerichtlichen Sachverständigen geführtes Ermittlungsverfahren wegen schweren gewerbsmäßigen Betruges sowie Körperverletzung berichtet. Gegenstand des strafrechtlichen Ermittlungsverfahren war iW die systematische Falschverrechnung tatsächlich nicht erbrachter Leistungen gegenüber der Sozialversicherung bzw der Vorwurf, PatientInnen würden medizinisch nicht indizierte Behandlungen zu Verrechnungszwecken aufgedrängt. Darüber hinaus lagen im Berichtszeitpunkt 31 Beschwerden gegen den Zahnarzt bei der Patientenanwaltschaft wegen teils massiver Behandlungsfehler und intransparenter bzw überhöhter Honorierung vor.
Das OLG Wien verneinte Ansprüche des Zahnarztes gem § 7a MedienG aufgrund überwiegender Veröffentlichungsinteressen. Angesichts der vorliegenden Umstände (ua Dauer des Ermittlungsverfahrens und Art der Anschuldigungen) habe bereits das Erstgericht die Veröffentlichungsinteressen zu Recht höher bewertet als die Geheimhaltungsinteressen des Antragstellers. Immerhin werde dem Zahnarzt ein erhebliches Fehlverhalten vorgeworfen, nämlich einerseits Behandlungsfehler und andererseits eine unzulässige Bereicherung im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit. Dies stelle einen unvereinbaren Widerspruch zum Berufsethos eines Arztes dar. Es bestehe daher ein überwiegendes Veröffentlichungsinteresse.
Dem Antragsteller werde zusammengefasst zur Last gelegt, seinem hippokratischen Eid aus Gewinnsucht wiederholt zuwider gehandelt und die Schädigung seiner Patienten in Kauf genommen zu haben. Diese Vorwürfe seien geeignet, das dem Antragsteller als Zahnarzt entgegengebrachte Vertrauen nachhaltig zu erschüttern, weil das ihm angelastete Verhalten seinem Berufsethos diametral widerspreche und den Kernbereich seiner beruflichen Tätigkeit betreffe, weswegen ein legitimes Interesse der Öffentlichkeit bestehe, zu erfahren, wie er als Zahnarzt, auf dessen fachkundiges und gesundheitsförderndes Vorgehen seine Patienten vertrauen, mutmaßlich agiere.
Der Unterrichtung der Bevölkerung über die den Zahnarzt betreffenden Belastungsmomente sei der Vorzug vor dem Schutz seines Rechts auf Anonymität einzuräumen. Es liege daher ein überwiegendes Interesse an der Veröffentlichung von Identifikationsmerkmalen des Antragstellers wegen der im Gesetz genannten „anderen Gründe“ vor, nämlich der medialen Warnung vor den Machenschaften des Antragstellers.
Unter Berücksichtigung des Stands des Ermittlungsverfahrens, welches im Zeitpunkt der Veröffentlichungen bereits mehr als sechs Monate anhängig gewesen sei, der beruflichen Position des Antragstellers und der den Medien zukommenden Warnfunktion vor einem Mediziner, dem ua zur Last gelegt wird, einer Vielzahl von Patienten über Monate medizinisch nicht indizierte Behandlungen aufgedrängt zu haben, um diese verrechnen und sich dadurch unrechtmäßig bereichern zu können, bestehe ein legitimes und überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit, zu erfahren, dass gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen der genannten strafbaren Handlungen geführt werde, zumal dieser überdies als gerichtlich beeideter Sachverständiger tätig sei.
Vor diesem Hintergrund erachtete das OLG Wien die identifizierende Berichterstattung über den im Berichtszeitpunkt bereits verdichteten Tatverdacht in Bezug auf das massive berufliche Fehlverhalten des Antragstellers aufgrund eines überwiegenden Veröffentlichungsinteresses für zulässig und eine Warnung der Öffentlichkeit vor diesem für angezeigt.
Die Entscheidung ist veröffentlicht in Medien und Recht 2018, 8.
(AT)
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